Quelle / Verfasser : Jürgen Hartmann TAXItimes
Ausnahmezustand in der Persiusstraße: Taxi Berlin hat einen Auftrag noch nie dagewesener Größe an Land gezogen – und sich damit Arbeit und Organisationsaufwand in ungekanntem Ausmaß beschert.
Die Bemühungen von Gewerbevertretern, vom Staat für die Bewältigung der Corona-Krise in Anspruch genommen zu werden, waren in Berlin Ende 2020 endlich erfolgreich. Nicht nur die Landesverbände warben vehement bei Politikern um Aufträge für das Taxigewerbe, vor allem Taxi-Berlin-Chef Hermann Waldner sprach immer wieder mit Staatssekretären und Senatoren. Ende Dezember kam schließlich die gute Nachricht. Seit dem 4. Januar haben in Berlin wohnende Senioren, die eine Einladung zur Impfung erhalten haben, Anspruch auf die Bezahlung einer Taxifahrt von ihrer Wohnadresse zum Impfzentrum und zurück. Über die Eröffnung des ersten der sechs Berliner Impfzentren in der „Arena“, der bekannten Konzert- und Veranstaltungshalle in Alt-Treptow, berichteten zahlreiche Pressevertreter.
Ein solches Projekt umfasst zahlreiche Absprachen und Verhandlungen und erfordert ein hohes Maß an Organisation vieler Seiten, die alle koordiniert sein müssen. Während Logistiker mit Hilfe von Ex-THW-Präsident Albrecht Broemme das Impfzentrum aufbauten und -zig Impfkabinen mit Strom- und Datenkabeln, Mobiliar und EDV einschließlich Drucker ausstatteten, handelte Hermann Waldner mit dem Deutschen Roten Kreuz und der Senatsverwaltung für Gesundheit die Beauftragung des Taxigewerbes mit den Seniorenfahrten aus. Pünktlich zur Eröffnung versorgte „Innungs“-Chef Leszek Nadolski die Presse mit Informationen.
LANGJÄHRIGE ERFAHRUNG ZAHLT SICH IN DER KRISE AUS
„Die Vermittlung der Aufträge läuft in der Regel so ab, dass der Kunde in der Zentrale das Taxi von zu Hause zum Impfzentrum bestellt, woraufhin die Zentrale einen Funkauftrag mit den Merkmalen ‚Mit Trennschutz’, ‚Behilflich sein’ und ‚Coupon’ vermittelt“, so Hermann Waldner.
Bereits Tage vor der Eröffnung organisierte Boto Töpfer, Chef des Taxiverbandes Berlin Brandenburg, vor Ort in Zusammenarbeit mit den Betreibern, den Sicherheitsdiensten, der Polizei und in Abstimmung mit Taxi Berlin die Anfahrt- und Ladeinfrastruktur an der Arena. Die zunächst geplante Aufstellung in der Martin-Hoffmann-Straße hätte nicht funktioniert, das sah Töpfer auf den ersten Blick. Er vereinbarte mit den zuständigen Polizeibeamten, die Parkbuchten in der Eichenstraße in Richtung Arena bereitzustellen, zudem wurde in der Puschkinallee der rechte Rand ab der Elsenstraße für Taxen reserviert. „Wir führen eine ausgesprochen zivile Gesprächskultur mit der Polizei, sowohl auf der Führungsebene als auch auf der Straße. Das sollten wir auch alle zu schätzen wissen, indem wir zu den Beamten genau so freundlich sind.“
Gibt es Probleme, so wird Töpfer meist schnell damit konfrontiert – und sie landen auf dem Tisch von Jens Schmiljun, Vertriebschef bei Taxi Berlin, in dessen Verantwortung nun die gesamte Projektleitung und -steuerung liegt, und der seitdem kaum einen freien Tag hat, wie er auf Nachfrage sagt. Zu Anfang gab es Beschwerden über Taxifahrer, die die hochbetagten Senioren, Risikogruppe Nummer eins und von der frischen Impfung womöglich körperlich geschwächt, ohne Trennschutz befördern wollten. Auch schwarze Schafe, die betrügerisch mit Bargeld und Coupon doppelt abkassieren wollten, trugen dazu bei, dass die Auftragsvermittlung über Funk eingeführt werden musste. Seitdem läuft es in der Eichenstraße ziemlich geordnet ab. Das Aufkommen an Impffahrten hat in der Persiusstraße allerdings zu einer neuen Größenordnung der Couponbearbeitung geführt.
Problemlos klappt auch die Zusammenarbeit mit den Teams an Einweisern und Einweiserinnen. Töpfer sagt, er habe Wert darauf gelegt, ein kulturell und geschlechtlich gemischtes Team einzusetzen, um mit gewissen Vorurteilen aufzuräumen, wie er die Vorbereitungen mit Taxi Berlin schildert. Wichtig war für ihn auch, dem Winterwetter zu begegnen, das jedem noch so warm gekleideten Einweiser früher oder später zu schaffen macht. Eine rettende Idee war die leerstehende Ticketkasse gegenüber der Arena, die kurzerhand zum improvisiert beheizten Pausenraum umfunktioniert wurde. Für das kulinarische Wohl sorgt inzwischen auch ein Imbisswagen, der dort permanent Stellung hält, und Toiletten gibt es in der Arena. Das Leitstellenpersonal mit den Leuchtwesten gibt die Coupons sowohl für die Anfahrt als auch für die Rückfahrt an die Taxifahrer aus. Das Einladungsschreiben zum Impfen ist kein Coupon – nur eine von unzähligen Fragen, die die Funkzentrale derzeit oft zu beantworten hat. Jens Schmiljun musste vieles zum Laufen bringen. Er koordiniert alles in täglicher Abstimmung mit sämtlichen Beteiligten.
DAS JETZIGE AUFKOMMEN IST ERST DER ANFANG
Mit der Impffrequenz an den einzelnen Adressen steigen auch die erforderliche Zahl an Taxen, die dort pro Minute „durch-gejagt“ werden, und der Personalbedarf. Die aktuelle Zahl von gut 3.000 Fahrten pro Tag (in zehn Stunden) soll auf maximal 20.000 steigen, wenn an allen sechs Adressen Hochbetrieb herrscht. Das bringt viele kleine Probleme mit sich, etwa, dass die Druckerei mit der Herstellung der Coupons zeitweise nicht mehr hinterherkam. „Wir sind das einzige Bundesland mit so einem Großauftrag und sind permanent bemüht, den gut zu erfüllen, damit die Politik Grund hat, das so fortzusetzen. Bisher bekommen wir auch durchweg positives Feedback“, so Schmiljun gegenüber Taxi Times. Zur Erfüllung gehört auch die strikte Einhaltung der vom Senat vorgegebenen Bedingungen: kein Taxi ohne Trennschutz, kein Fahrer ohne Maske. Nicht nur die Gewährleistung dieser Qualitätsstandards erforderte die Funkvermittlung, auch das kostenintensive Leitstellenpersonal wird so finanziert.
Nach dem erfolgreichen Start in Alt-Treptow waren das zweite Impfzentrum in Westend und das dritte in Wedding zwar vom Organisationsaufwand her nicht weniger arbeitsintensiv, für Schmiljun und Töpfer jedoch mit weniger Unwägbarkeiten verbunden. Die Eichenstraße stößt bereits oft an ihre Kapazitätsgrenze, so dass auf Verlangen der Polizei jedes Taxi, das einen Fahrgast ausgeladen hat, gleich einen frisch Geimpften einladen muss, damit kein Chaos ausbricht. Die freien müssen dann entsprechend lange warten, was anfangs zu erheblichem Unmut führte, der sich zu Unrecht auf das Leitstellenpersonal entlud, doch die Polizei blieb hart. An den anderen Adressen will Taxi Berlin solche Ungerechtigkeiten unbedingt vermeiden. Auf dem Hammarskjöldplatz mit seiner riesigen Nachrückfläche und in der Müllerstraße mit der bisher geringen Impffrequenz halten sich die Probleme bislang in Grenzen. Dafür sorgt auch das zahlreiche Leitstellenpersonal.
Die täglichen Absprachen, Maßnahmen und Regelungen erledigt Schmiljun in engem Austausch mit Hermann Waldner. Bei Redaktionsschluss stand die Eröffnung der Impfzentren am Flughafen Tegel und im Velodrom kurz bevor. Wie es am Terminal C, an der Landsberger Allee und am Columbiadamm funktioniert, wird sich zeigen. Mit seinen Verhandlungen hat Waldner für ein großes Auftragsvolumen für das Taxigewerbe gesorgt.
Derzeit werden Personen ab 80 Jahren geimpft. „Wir haben um die 200.000 80- bis 90-Jährige in Berlin – und wir haben alle Grundlagen geschaffen, um sie sicher zu den Impfzentren und wieder zurück zu befördern“, sagte Taxi-Berlin-Geschäftsführer Hermann Waldner. „Die Fahrgäste müssen nur unter 030-20 20 20 oder 23 00 23 ihre kostenlose Fahrt anmelden, um den Rest kümmern wir uns“. Auch an der Möglichkeit für die Kunden, ihre Impf-Fahrt per App zu bestellen, wird gearbeitet.
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